Wie beurteilen Sie die Agilität Ihres Fertigungsunternehmens?
Agilität liegt im Auge des Betrachters
Als die COVID-19-Pandemie ausbrach, stellten Hersteller nahezu jeden Aspekt ihrer Betriebsabläufe infrage. Hersteller jeder Art und Größe versuchten, die Situation zu verstehen und vorherzusagen, was als Nächstes kommt, um ihre Betriebsabläufe entsprechend anzupassen. Sie mussten agil sein, um die sich ständig ändernde Dynamik zu bewältigen.
Quasi über Nacht wurde eine Reihe von Veränderungen umgesetzt, darunter die Einführung digitaler Technologien, das Überarbeiten von Arbeitsmethoden und das Sichern neuer Lieferketten. So gesehen sorgte die Pandemie für einen großen Schub in Bezug auf die Agilität.
Es konnte sogar beobachtet werden, wie zahlreiche Unternehmen vorübergehend Produkte herstellten, die sie ohne die Pandemie wahrscheinlich nie hergestellt hätten. Beispiele hierfür sind Ventilatoren, Gesichtsmasken und Testkits. Infolgedessen haben 90 % der britischen Produktionsbetriebe die Pandemie überstanden.
Es ist daher vielleicht keine Überraschung, dass bei der Bewertung der Agilität der Fertigungsindustrie für das Jahr 2021 fast drei Viertel (74 %) der Hersteller der Meinung waren, dass sie sehr bzw. extrem agil seien. Ein Jahr später hat sich diese Einschätzung abgeschwächt: So ergab die diesjährige Bewertung, dass nur noch 47 % von ihnen glauben, sehr bzw. extrem agil zu sein – ein Rückgang von 27 %.
Doch wie lässt sich dieser drastische Rückgang erklären? In Gesprächen mit Entscheidungsträgern bei den Herstellern wurde deutlich, dass einige von ihnen ihre eigene Agilität im Jahr 2021 schlichtweg überschätzt haben. So hatten viele von ihnen eine unrealistische Wahrnehmung ihrer Agilität, nachdem sie eine Reihe von Änderungen vorgenommen hatten, um schnell auf die damalige Situation zu reagieren.
Doch sobald sich der Trubel um die Pandemie gelegt hatte und die Durchführung einer Bestandsaufnahme möglich war, wurde durch den Vergleich mit anderen Herstellern in ihrem Umfeld das wahre Ausmaß ihrer Agilität deutlich.
Wie beurteilen Sie die Agilität Ihres Fertigungsunternehmens?
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Ein leitender Angestellter, mit dem wir gesprochen haben, sagte: „Ehrlich gesagt gaben viele Unternehmen im letzten Jahr (2021, Anm. d. Red.) an, dass sie sehr oder extrem agil seien, weil sie wirklich davon überzeugt waren. Viele haben Prozesse eingeführt, um dem COVID-bedingten Chaos entgegenzuwirken, und haben die Pandemie dadurch überstanden. Aber in Wahrheit hielten sich die meisten – uns eingeschlossen – für besser, als sie waren. Aber eigentlich waren wir überhaupt nicht agiler als andere."
Verschärft wurde die Situation durch weitere folgenschwere Weltereignisse, zu denen es in den vergangenen 18 Monaten kam. Zwar nahmen viele Hersteller erhebliche Änderungen vor, um die Auswirkungen von COVID abzufedern, doch nur wenige konnten vorhersehen, was noch alles auf sie zukommen würde.
„Als sich die COVID-Pandemie allmählich wieder legte, gingen die meisten Unternehmen davon aus, dass sie sich nun schnell erholen und agil bleiben würden. Aufgrund des Ukrainekrieges, des politischen Status Großbritanniens, der Energiekrise und der anhaltenden Probleme mit Lieferketten durch den Brexit ist es jedoch verständlich, dass die Bedeutung der Agilität gesunken ist“, sagte uns ein anderer Entscheidungsträger aus der Fertigungsindustrie.
Diese Ansicht wurde von einem Vorstandsmitglied eines weltweit tätigen Automobilherstellers geteilt, der frustriert anmerkte: „Die Anstrengungen, die wir unternehmen, um agil zu sein, sind zwar gestiegen, doch unsere Effektivität ist gesunken – vor allem aufgrund von Einschränkungen in Lieferketten, insbesondere bei Chips.“
„Das hat zur Folge, dass wir von außen als weniger agil wahrgenommen werden, weil unser Lagerbestand in Ausstellungsräumen gering ist und wir die Wünsche unserer Kunden nicht erfüllen können. In Wahrheit ist es jedoch so, dass wir sehr hart arbeiten, nur um auf dem jetzigen Niveau zu bleiben“, fügte er hinzu.
„Wir waren überhaupt nicht so agil, wie wir dachten. Das haben uns all die Ereignisse seit der Pandemie vor Augen geführt.“
Ein weiterer Grund dafür, dass die Hersteller ihre Agilität überschätzten, lag im Verhalten der Menschen während der Pandemie. Es wurden nicht nur zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen in Form von Kurzarbeit und staatlichen Hilfen angeboten, sondern auch die Kunden zeigten weitaus mehr Verständnis für längere Lieferzeiten.
So teilte uns ein Lebensmittel- und Getränkehersteller Folgendes mit: „In 25 Jahren waren unsere Kunden nie so tolerant wie während der COVID-Pandemie. Es wurde einfach akzeptiert, dass Verzögerungen bei Produkten unvermeidlich waren. Wären unsere Kunden nicht so verständnisvoll gewesen, hätten wir unsere Agilität wahrscheinlich stärker infrage gestellt.“
Ähnlich äußerte sich der Betriebsleiter eines großen Kunststoffherstellers: „Vielleicht hatten viele Unternehmen dank der staatlichen Hilfen das Gefühl, dass es relativ einfach sei, die Pandemie zu bewältigen. Wir dachten, dass wir ganz gut aufgestellt seien. Allerdings waren wir überhaupt nicht so agil, wie wir dachten – zumindest haben uns das die Ereignisse seit der Pandemie vor Augen geführt.“